Displaced Persons Camp (1945–1950)
Nach der Befreiung brachte die britische Armee die Überlebenden des Konzentrationslagers Bergen-Belsen in die nahe gelegene Wehrmachtskaserne und versorgten sie dort medizinisch. Die aus ganz Europa nach Deutschland verschleppten KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter_innen und Kriegsgefangenen erhielten von den Alliierten den Rechtsstatus „Displaced Persons“ (DP). Sie hatten dadurch einen Anspruch auf besondere Fürsorge.
Nachdem die meisten Überlebenden in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt waren, blieben in Bergen-Belsen vor allem jüdische Menschen sowie nichtjüdische polnische Staatsangehörige zurück. In der zweiten Jahreshälfte 1945 wurden ihre Wohnbereiche getrennt. Im polnischen DP-Camp Bergen-Belsen lebten zeitweilig mehr als 10.000 Menschen. Es wurde im September 1946 aufgelöst. Im jüdischen DP-Camp Bergen-Belsen lebten bis zu 12 000 Menschen. Es bestand bis Mitte 1950.
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Nothospital
Nothospital
Bei ihrer Ankunft im Konzentrationslager Bergen-Belsen waren die britischen Soldaten weder auf die dort grassierenden Krankheiten wie Typhus und Fleckfieber noch auf die extreme Unterernährung der Häftlinge vorbereitet. Noch während auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Tausende Leichen in Massengräbern bestattet und die verseuchten Holzbaracken abgebrannt wurden, richtete die britische Armee in Gebäuden der nahe gelegenen vormaligen Wehrmachtskaserne ein Nothospital ein. Noch im Juni 1945 mussten dort mehr als 11 000 Kranke betreut werden. Da die Kapazitäten des Nothospitals nicht ausreichten, wurden zahlreiche Überlebende auch in Krankenhäusern und Hilfslazaretten der umliegenden Städte, beispielsweise in Celle, versorgt.
Zur Unterstützung der Militäreinheiten trafen bereits eine Woche nach der Befreiung mehrere Einheiten des Britischen Roten Kreuzes und weiteres ziviles Hilfspersonal in Bergen-Belsen ein. Das Britische Rote Kreuz übernahm die Leitung der zivilen medizinischen Versorgung. Zum Personal gehörten Ärzt_innen und Hilfskräfte aus vielen Ländern, unter ihnen auch zahlreiche befreite Häftlinge. Darüber hinaus wurden deutsche Ärzt_innen und Pfleger_innen von den Briten dienstverpflichtet.
Als die Zahl der Kranken zurückging, wurden die Kasernengebäude zu Wohnblocks umgewandelt. Aus dem Nothospital entstand das DP-Camp Bergen-Belsen.
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Polnisches DP-Camp
Polnisches DP-Camp
Anfang September 1945 lebten noch mehr als 10 000 nichtjüdische Personen aus Polen im DP-Camp Bergen-Belsen. Sie waren vor der Befreiung als zivile Zwangsarbeiter_innen eingesetzt worden oder waren ehemalige Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Diese DPs weigerten sich, nach Polen zurückzukehren, weil sie das von der Sowjetunion eingesetzte kommunistische Regime in Warschau ablehnten. Während die Warschauer Regierung die DPs zur raschen Rückkehr bewegen wollte, warnte die nationalpolnische Exilregierung in London vor diesem Schritt.
Der Alltag im polnischen DP-Camp wurde in weitgehender Selbstverwaltung durch ein Lagerkomitee organisiert. Es entwickelte sich ein reges soziales, kulturelles und religiöses Leben. Kindergärten, Schulen und Kurse zur beruflichen Weiterbildung wurden eingerichtet. Ein tägliches polnisches Informationsbulletin wurde bald durch eine eigene Wochenzeitung ergänzt. Zu den kulturellen und sportlichen Aktivitäten gehörten Chöre und Musikkapellen, Kunstausstellungen und ein Kabarett, Fußballmannschaften und Leichtathletikwettkämpfe.
Dennoch blieben die Erlebnisse der Verfolgung allgegenwärtig. Das polnische Camp-Komitee richtete eine Abteilung zur Dokumentation der nationalsozialistischen Verbrechen ein. Im November 1945 ließ es auf dem ehemaligen KZ-Gelände ein großes Holzkreuz errichten, das mit einer katholischen Messe vor Tausenden Campbewohner_innen eingeweiht wurde.
Im September 1946 lösten die britischen Militärbehörden das polnische DP-Camp Bergen-Belsen auf und verlegten seine Bewohner_innen in andere DP-Camps der britischen Zone. Etwa zwei Drittel der polnischen DPs aus der britischen Zone kehrten nach Polen zurück. Die Übrigen versuchten, vor allem in die USA und nach Kanada auszuwandern.
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Jüdisches DP-Camp
Jüdisches DP-Camp
Das jüdische DP-Camp nahm neben ehemaligen Häftlingen des Lagers Bergen-Belsen auch Tausende Überlebende der Schoah aus Ländern Mittel- und Osteuropas auf. Für die Mehrzahl dieser jüdischen DPs war ein Weiterleben in Europa unvorstellbar. Sie hatten nur noch selten Verwandte, und ihre Häuser sowie ihr sonstiges Hab und Gut waren zerstört oder geraubt worden.
Aus dem unmittelbar nach der Befreiung gegründeten jüdischen Camp-Komitee ging im September 1945 durch demokratische Wahlen das „Zentralkomitee der befreiten Juden in der britischen Zone“ mit Sitz im DP-Camp hervor. Die von ihm organisierten politischen Kongresse forderten vor allem freie Auswanderung nach Palästina und die Gründung des Staates Israel. Nicht nur vormals überzeugte Zionist_innen, sondern auch viele Überlebende, die vor der nationalsozialistischen Verfolgung nicht zionistisch orientiert gewesen waren, unterstützten nun das Ziel eines selbstbestimmten Lebens in Palästina.
Während die britische Besatzungsmacht die Juden nur als Religionsgemeinschaft betrachtete, verstanden sich die jüdischen Überlebenden in der Mehrzahl als eigene Nation. Das Komitee handelte als Regierung des jüdischen DP-Camps und richtete eine Polizei, ein Gericht, Schulen sowie kulturelle und soziale Institutionen ein. Viele der meist jungen und alleinstehenden Bewohner_innen gründeten eine Familie und fanden damit eine neue Zukunftsperspektive. Allein in den ersten zwei Jahren nach der Befreiung heirateten in Bergen-Belsen mehr als tausend jüdische Paare, und bis zur Auflösung des Camps wurden weit über tausend jüdische Kinder geboren.
Ab 1947 verließen durch verbesserte Auswanderungsmöglichkeiten zahlreiche Bewohner_innen das DP-Camp. Im Mai 1948 wurde der Staat Israel gegründet, Anfang 1949 hob die britische Regierung auch die letzten Auswanderungsbeschränkungen auf. Doch auch andere Staaten wie die USA und Kanada lockerten ihre Einwanderungsbedingungen. Im Sommer 1950 wurde das DP-Camp Bergen-Belsen schließlich aufgelöst.